Politischer Messianismus







Politischer Messianismus meint die Durchsetzung eines politischen Programms durch das In-Aussicht-Stellen eines utopischen Ziels, das die Verwirklichung eines Heilszustandes bereits im Diesseits beinhaltet. Zudiesem Ziel leitet eine Führerperson, die ihre Ideen und Vorstellungen in einer Partei verwirklicht und die in einem Personenkult bis hin zur Apotheose verehrt wird. Dieses heilversprechende Ziel erreichen aber nur Auserwählte, die Einsicht in ein Ordnungssystem gewonnen haben, das implizit im Programm der Einheitspartei zum Ausdruck kommt. Die „Anderen“, die diese Einsicht nicht gewinnen konnten oder durften, sind als „Feinde“, die dem eigenen Volk und der Nation schaden, dem Untergang geweiht. Sie stehen der apokalyptischen Entfaltung des heilbringenden Zieles nur im Weg und müssen vernichtetwerden, um das angestrebte Ziel ins Werk zu setzen. Die Menschen müssen, wenn nötig, zu ihrem Glück, das die totalitären Regime zu beinhalten glauben, gezwungen werden. Dabei hilft eine anfangs kleine Gruppe von Begeisterten, für die die heilbringende Zielvorstellung so stark ist, daß sie zu ihrer Durchsetzung im wahrsten Sinne des Wortes „über Leichen gehen“. So kann durch diese relativ kleine Gruppe eine Massenbewegung ausgelöst werden, die notwendig ist, um die totalitäre Doktrin der Partei, die sämtliche Lebensbereiche total umfaßt, wirksam werden zu lassen – ähnlich der Konzeption des „totalen Staates“ bei Carl Schmitt. So entfesselt sich das Gewaltpotential der Totalitarismen, das sich in Kriegen und Massenvernichtung aufs Unmenschlichste entlädt, die als apokalyptische Ausbrüche in einer Übergangsphase vor dem Heilszustand stehen und ihm den Weg ebnen sollen. Politischer Messianismus ist ein entscheidendes Strukturelement des Konzepts „politischer Religionen“ zur Analyse totalitärer Massenbewegungen.
Politische Religionen wollen durch heilversprechende politische Lehren die Krise der Gegenwart überwinden. Hier tritt die politische Religion strukturell an die Stelle der Ideologie in der Totalitarismustheorie von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski. Gerade diejenigen, die unter den aktuellen Gegebenheiten leiden, sollen zu einer Erlösung im Diesseits geführt werden. Dies soll in weltlich-politischen Systemen geschehen, die als Religionen auftreten, da sich die weltlich-politische Sphäre religiös aufgeladen hat und durch Resakralisierung des politischen Raums eine säkular-religiöse Bewegung entstand. Diese Bewegung läßt sich durch eine weltzugewandte Eschatologie, einen innerweltlichen Abschluß und die „Dekapitierung“ des Transzendenten, nach Voegelin, kennzeichnen. Zum Erreichen der vorgegebenen irdischen Heilsvorstellung, die den Ist- Zustand soteriologisch überwindet, ist eine messianische Bewegung notwendig, die unter der Leitung eines charismatischen Führers Welt und Gesellschaft durch ein neues Reich hindurch zum Heil führen wird. Dieser Vorgang ist durchaus apokalyptisch zu nennen, da ein neues Reich, das „Dritte Reich“, aufgedeckt wird, das alles Dagewesene überwindet. So schaffen politisch-messianische Bewegungen „neue Welten“ und darin „neue Menschen“, wobei der alte Mensch und die alte Welt untergehen. Eine politische Religion ist also durchaus als apokalyptisch-messianistische Bewegung zu charakterisieren, die sich institutionalisiert, um als Partei und Regierung den messianischen Wandel quasi „von oben“ zu verordnen und durch die Bewegung der Massen zu realisieren. Durch seine charismatischen Eigenschaften gilt der Führer als Heilbringer – hier sei an Romano Guardinis gleichnamige Schrift erinnert, dem unbedingt Gehorsam geleistet werden muß, um den gegenwärtigen schlechten Zustand zu einem besseren Zustand wandeln zu können.
Die messianische Führergestalt bewegt die Massen, die in letzter Instanz bereit sind, alles für Führer und Partei zu tun, damit deren Ziele durchgesetzt werden und sie somit zum Heil kommen können. Der politische Messianismus ist Grund der Dynamik der Massen im Totalitarismus und geht über eine rein historische und funktionale Betrachtung des Totalitarismus hinaus: Er zeigt auch dessen utopische Seite, die zur Handlungsmotivation dient, und er zeigt mit welchen inneren Spannungskräften die Totalitarismen als politische Religionen agieren. Also zeigt sich, daß der Ansatz, den Totalitarismus als politische Religion zu deuten, eine größere Reichweite hat als rein historische oder funktionale Sichtweisen. Problematisch ist der damit verbundene Religionsbegriff: Er muß dem Phänomen der politischen Religionen gerecht werden. Als ein „Religionsbegriff mittlerer Reichweite“ wird er an seinen Rändern mehr und mehr unscharf, umfaßt aber somit auch säkulare Bewegungen, wie die politischen Religionen. Durch den politischen Messianismus kommt es innerhalb des Systems politischer Religionen meines Erachtens zu einer weiteren Spezifizierung: Er ist das Strukturelement, durch das das Konzept politischer Religionen seine heilsbezogenen Zukunftsvorstellungen wirksam machen kann, da eine Massenbewegung unter charismatischer Führung den dafürauserwählten Teil der Menschheit zu einem mit heilbringenden Vorstellungenreligiös aufgeladenen innerweltlichen Ziel leitet. Ihren grausamen Höhepunkt erreichten die politischen Messianismen bisher im 20. Jahrhundert, das jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts monströser denn je vor uns steht. Die Gefahren eines totalitären Gewaltpotentials bleiben aber nie gebannt, suchen die Menschen doch allzu oft nach der Verwirklichung eines Heilszustandes im Diesseits, der ihnen mehr Erfüllung zu geben scheint als die eschatologische Heilsvorstellung der traditionellen
Religionen.
http://www.zwiebler.de/…/T…/seitschek_heilsvorstellungen.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Jacob_Talmon

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