Von der Antike bis zu den Karolingern: Die Periode des kommerziellen Wohlstands der Juden
Bestimmte Historiker schreiben dem babylonischen Exil für die Transformation der Juden in ein Handelsvolk eine wichtige Rolle zu. In Babylon hätten sich die Juden
„zu jenem Handelsvolk zu entwickeln begonnen, als welches wir sie in der Wirtschaftsgeschichte vornehmlich kennen. Bei den Babyloniern hatten sie hochentwickelte Handelsverhältnisse vorgefunden. Zahlreiche in den neuerdings veröffentlichten Keilschrifttexten enthaltene Geschäftsurkunden zeigen, daß sich die exilierten Juden an diesem Handelsleben eifrig beteiligt haben, sowohl als Großhändler, als auch in den in Babylonien insbesondere ausgebildeten Geldgeschäften.“
„Die meisten Historiker haben die Rolle des palästinensischen Judentums während der persischen Epoche sehr übertrieben . Man tut, als ob sich die ganze jüdische Geschichte nach dem Wiederaufbau Jerusalems am Fuße des heiligen Berges abspielte, als ob das ganze Volk tatsächlich aus dem Exil zurückgekehrt sei und auf einigen hundert Kilometern zwischen Tekoa, Mitspa und Jericho gelebt habe. In Wirklichkeit repräsentierten die judäischen Juden nur einen kleinen Teil, den kleinsten des Judentums. Und das war mit Sicherheit nicht der lebendigste.“
In den Archiven einer jüdischen Familie findet man, daß die „Juden Handel betrieben, Häuser und Ländereien kauften und verkauften, Geld verliehen, Depots verwalteten und in Rechtsfragen sehr versiert waren“
Dieser Reichtum des Tempels von Jerusalem war wahrscheinlich der Hauptgrund des Feldzugs des Antiochos gegen die Juden. „Simon teilte ihm mit, daß der öffentliche Tresor in Jerusalem beachtliche Geldsummen enthielt und daß es ungeheure öffentliche Reichtümer gab“. [25] Später konfisziert Mithridates auf der kleinen Insel Kos 800 Talente, die zum Bau des Tempels von Jerusalem bestimmt waren. Zur Zeit Roms beklagte Cicero in seinen Reden die ungeheueren Summen, die nach Jerusalem flössen.
Die Periode des Hellenismus stellt den wirtschaftlichen Höhepunkt der Antike dar. Die Eroberungen Alexanders zerstörten die Barrieren zwischen der hellenischen Welt, Asien und Ägypten. In allen Teilen des hellenischen Reiches schossen die Städte wie Pilze aus der Erde.
„Die größten Städtegründer aber nicht nur dieser Epoche, sondern der Weltgeschichte überhaupt sind Seleukos und sein Sohn Antiochos I.“
„Die Juden verstanden es, sich besondere Privilegien – wie es scheint – sowohl bei den Seleukiden wie bei den Ptolemäern zu verschaffen. In Alexandria, wo sie durch Ptolemäus I. in großen Scharen hingezogen wurden, formten sie eine abgesonderte Gemeinschaft, die sich selbst verwaltete und die der Rechtsprechung der griechischen Gerichte unterworfen war“.
Die wachsende Bedeutung des Judentums im Wirtschaftsleben der hellenistischen Welt ist auch Ergebnis der Verlagerung des ökonomischen Mittelpunktes in den Orient. Der Wohlstand Alexandrias, Antiochias u. Seleukias heben sich auffallend von der Armut und der Dekadenz Griechenlands zu derselben Zeit ab.
Polybios weist häufig auf den Zerfall der griechischen Städte hin. Im 2. Jahrhundert „fiel es den Besuchern schwer, in dieser Stadt, wo das Wasser rar, die Straßen schlecht und die Häuser unbequem sind, das berühmte Athen wieder zu erkennen.“ [32]
Athen wurde aus seiner Rolle als Mittelpunkt der zivilisierten Welt verdrängt. Neben dem wirtschaftlichen Abstieg trugen die unaufhörlichen Klassenkämpfe [33] zum Untergang Griechenlands bei. Klassenkämpfe, die aber wegen der rückständigen Produktionsweise zu keinerlei bedeutendem Ergebnis führen konnten. Der Triumph der Plebs war kurzlebig. Die Umverteilung der Reichtümer führte – es war nicht anders möglich – zu neuen sozialen Ungleichheiten und damit zu neuen gesellschaftlichen Konflikten. Ebenso war der Siegeszug Griechenlands nach den Eroberungen Alexanders trügerisch. Die daraus resultierende Verlagerung des wirtschaftlichen Zentrums der damaligen Welt in den Orient führte zu seinem rapiden Abstieg. [34] Die besitzenden Aristokratenklassen waren den plebeischen Revolten gegenüber ohnmächtig. Sie mußten die Unterstützung Roms suchen. [35] Aber Rom gab sowohl Griechenland wie auch dem Hellenismus den Todesstoß. Die Römer warfen sich über die hellenistische Welt wie über eine reiche, zu erobernde Beute.
Die Kaufleute in Rom waren in der Regel Fremde und dies erklärt das ständige Anwachsen der jüdischen Kolonie in Rom seit Cäsar. Die römischen „Großhändler“ [negociatores] waren keine Kaufleute, sondern Wucherer, die die Provinzen aussaugten.
Die Lage der Juden zum Zeit des Hellenismus hatte sich nach der römischen Eroberung nicht grundlegend geändert. Die Privilegien, die den Juden von den hellenistischen Gesetzen zuerkannt worden waren, wurden auch von den römischen Kaisern bestätigt. „Die Juden hatten im römischen Reich eine bevorzugte Stellung inne.“
Allein in Alexandria wohnten nahezu eine Million Juden. Dies genügt, um die primär kommerzielle Rolle der Juden in der Diaspora zu charakterisieren. Diese umfaßte mehrere Jahrhunderte vor der Eroberung Jerusalems dreieinhalb Millionen Juden. In Palästina war kaum eine Million mehr verblieben.
Zwei von insgesamt fünf Stadtvierteln in Alexandria waren von Juden bewohnt. [71] Die Rolle der Juden in Alexandria war so bedeutend,daß ein Jude, Tiberius Julius Alexander, dort zum römischen Statthalter ernannt wurde.
Diese alexandrischen Juden waren kulturell völlig integriert und verstanden auch nur mehr griechisch. Für sie wurden die religiösen Bücher vom Hebräischen ins Griechische übersetzt. Gemeinschaften, vergleichbar der Alexandrias, waren in allen Handelszentren des Reiches verstreut. Die Juden verbreiteten sich über Italien, Gallien und Spanien. Jerusalem war noch immer der religiöse Mittelpunkt des zersprengten Judentums.
„Die Diadochen [Nachfolger] Davids und Salomons bedeuteten für die Juden jener Zeit kaum mehr als heutzutage Jerusalem für sie bedeutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Einheit einen sichtbaren Anhaltspunkt in dem kleinen Königreich von Jerusalem, aber sie bestand keineswegs in der Untertanenschaft der Hasmonäer [72], sondern in den zahllos durch das ganze parthitische und das ganze römische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandria namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Städte eigene administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem ‚Volksherren‘ als oberstem Richter und Verwalter geleitet. (...) Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel (...).“
In den Weissagungen der makkabäischen Epoche findet man, daß „alle Meere von Juden voll sind“. „Sie sind in beinahe alle Städte der Welt gezogen und es wäre schwierig, einen Ort auf der Erde zu finden, der diesen Stamm nicht gekannt hätte oder nicht von ihm beherrscht worden wäre“, schreibt Strabo. „Für Nationalökonomen ist die Tatsache unbestritten, daß der Großteil der Juden im Altertum mit dem Handel beschäftigt war.“
Nur die wirtschaftliche und soziale Stellung der Juden in der Diaspora noch vor der Eroberung Jerusalems ermöglichte ihren religiösen und nationalen Zusammenhalt. Wenn auch der größte Teil der Juden im römischen Reich eine kommerzielle Rolle spielte, so ist daraus noch nicht zu entnehmen, daß alle Juden reiche Händler und Unternehmer waren. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Juden waren sicherlich bescheidener Herkunft, von denen ein Teil seinen Unterhalt direkt oder indirekt aus dem Handel bezog. Sie waren Hausierer, Schiffslöscher, Kleinhandwerker etc. Diese Masse kleiner Leute wurde als erste von dem Niedergang des römischen Reiches getroffen und litt am meisten unter dem ökonomischen Druck von Seiten Roms. In den Städten zu großen Massen zusammengedrängt, waren sie zu größerem Widerstand fähig als die auf dem Land verstreute bäuerliche Bevölkerung. Sie waren sich auch ihrer Interessen viel bewußter. Deshalb bildeten die Juden in den Städten einen ständigen Herd von Unruhen und Erhebungen, die zugleich gegen Rom und gegen die reichen Klassen gerichtet waren.
Das Elend der städtischen und der bäuerlichen Massen war ein fruchtbarer Boden für die Ausbreitung des Christentums. Rostovtzeff sieht zurecht einen Zusammenhang zwischen den jüdischen Revolten und den Massenaufständen in Ägypten und in Kyrenaika unter Trajan und Hadrian. [81] Das Christentum breitet sich in den unteren Schichtender Großstädte der Diaspora aus.
„Die erste kommunistische Messiasgemeinde bildete sich
in Jerusalem. (...) Aber bald entstanden Gemeinden in anderen Städten
mit jüdischem Proletariat.“ [82]
„Die ältesten Stationen des phönizischen Handels auf Land- und Seewegen waren auch die ältesten Hochburgen des Christentums.“Ebenso wie den jüdischen Revolten Aufstände nichtjüdischer Schichten folgten, verbreitete sich auch die jüdisch-kommunistische Religion mit großer Geschwindigkeit unter den heidnischen Massen aus. Die christliche Urgemeinde ist nicht auf dem Boden des orthdoxen Judentums entstanden. Sie stand in enger Verbindung mit den ketzerischen Sekten. [84] Sie befand sich unter dem Einfluß einer kommunistisch-jüdischen Sekte, den Essenern, die – so Philon – „kein Privateigentum, keine Häuser, keine Sklaven, keine Ländereien und keine Herden besaßen.“
Sie betrieben vielmehr Landwirtschaft. Handel war ihnen untersagt. Das Christentum in seinen Anfängen muß als Reaktion der arbeitenden Massen des jüdischen Volkes gegen die reichen Handelsklassen verstanden werden. Jesus gab, als er die Händler aus dem Tempel vertrieb, dem Hass der jüdischen Volksmassen gegen ihre Unterdrücker, ihrer Feindseligkeit gegen die überragende Rolle der reichen Kaufleute Ausdruck. Zu Anfang bildeten die Christen kleine Gemeinschaften ohne große Bedeutung. Aber im zweiten Jahrhundert, einer Periode großen Elends im römischen Reich, wurden sie zu einer außerordentlich bedeutenden Macht. „Im dritten Jahrhundert erstarkte die christliche Kirche außerordentlich.“ [85] „Im dritten Jahrhundert mehren sich die Zeugnisse für das Christentum in Alexandria.“ [86]
Der populäre, gegen die Reichen gerichtete Charakter des Christentums ist unbestreitbar. „Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr hier hungert; denn ihr sollt satt werden.“ (...) Aber dagegen: Wehe euch Reichen! (...) weh euch, die ihr hier satt seid! denn euch wird hungern“ [87], heißt es im Evangelium des Lukas.
Aber im Zuge des raschen Aufstiegs des Christentums
versuchen die christlichen Führer seine gegen den Reichtum gewandte
Spitze zu entschärfen. Das Evangelium des Mathäus zeigt die erfolgte
Veränderung an. Es heißt hier:
„Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das
Himmelreich ist ihr. (...) Selig sind, die um Gerechtigkeit willen
verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“ [89]
Die Armen sind die geistig Armen geworden. Das Reich
Gottes ist nur noch das Reich des Himmels. Die Hungrigen haben nur noch
Durst nach der Gerechtigkeit. Die revolutionäre Religion der Volksmassen
verwandelt sich in eine Religion, die die Massen trösten soll. Kautsky
vergleicht dieses Phänomen mit dem sozial-demokratischen Revisionismus.
Es wäre aber richtiger, diese Entwicklung mit dem heute aktuellen
Phänomen des Faschismus zu vergleichen. Der Faschismus versucht, sich
des „Sozialismus“ zu bedienen, um die Herrschaft des Finanzkapitals
wieder zu befestigen. Er zögert nicht vor den schamlosesten
Verfälschungen, um die Massen zu täuschen und die Macht der
Schwerindustriemagnaten als die „Herrschaft der Arbeit“ darzustellen.
Allerdings hatte die „faschistische Revolution“ ebenfalls einen
bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Inhalt. Sie schließt endgültig
die Epoche des Liberalismus ab und leitet die Epoche der unbegrenzten
Herrschaft des Monopolkapitals ein, einer Antinomie zum Kapitalismus der
freien Konkurrenz. Ebenso genügt es nicht festzustellen, daß das
Christentum ein Instrument zum Betrug an den armen Klassen geworden ist.
Es entwickelt sich zur Klassenideologie der Grundbesitzer, die unter
Konstantin die absolute Macht an sich gerissen hatten. Der Triumph des
Christentums fällt zusammen mit dem vollständigen Sieg der
Naturalwirtschaft. Mit dem Christentum verbreitet sich auch das feudale
Wirtschaftssystem in ganz Europa.
Wie wir gesehen haben, war das Christentum zunächst die Ideologie der
ärmeren jüdischen Schichten. Die ersten christlichen Gemeinden
entstanden in der Nähe von Synagogen. Die jüdischen Christen hatten ihr
eigenes Evangelium, Evangelium der Hebräer genannt. Aber sie gingen
wahrscheinlich sehr schnell in dem großen christlichen Schmelztiegel
unter. Sie integrierten sich in die große Masse der Bekehrten. Seit dem
zweiten Jahrhundert, der Epoche der breiten Ausdehnung des Christentums,
hört man nichts mehr von der jüdischen Gemeinschaft in Alexandria.
Wahrscheinlich ist der Großteil der alexandrinischen Juden in den Schoß
der Kirche eingegangen. [92]
Die alexandrinische Kirche hatte eine Zeit lang die Hegemonie innerhalb
der neuen Religion. Auf dem Konzil von Nicäa gibt sie den Ton für alle
anderen christlichen Gemeinden an.
Aber wenn auch die bäuerlichen Schichten des Judentums die Lehre Jesu
mit Enthusiasmus aufnahmen, galt dies nicht in gleicher Weise für die
herrschenden kaufmännischen Schichten. Im Gegenteil, diese verfolgten
die Urform der kommunistischen Religion aufs Grausamste. Später, als das
Christentum die Religion der Großgrundbesitzer geworden war und sich
seine ursprünglich anti-plutokratische Spitze nur noch gegen Handel und
Wucher richtete, ist es klar, daß die Opposition der reichen Juden auch
jetzt nichts von ihrer Schärfe verlor. Ganz im Gegenteil, das Judentum
gelangte immer mehr zum Bewußtsein seiner besonderen Rolle. Trotz des
Verfalls des römischen Reiches war die Bedeutung des Handels noch
keineswegs zu Ende. Die herrschenden Klassen verlangten immer noch nach
orientalischen Luxusprodukten. Die Juden, die schon früher eine wichtige
Rolle im Handel gespielt hatten, wurden jetzt immer mehr die einzigen
Vermittler zwischen Orient und Abendland. Jude wird mehr und mehr
identisch mit Kaufmann.
Der Sieg der Naturalwirtschaft und des Christentums ermöglichte also die
Vollendung des Selektionsprozesses, der die Juden in eine
Kaufmannsklasse verwandelte.
Was bleibt von den jüdischen Hirtenstämmen in Arabien zurück, von den
jüdischen Landwirten in Nordafrika? Nichts außer Legenden. Im Gegensatz
dazu blühen und gedeihen die jüdischen Handelsniederlassungen in
Gallien, Spanien und Germanien.
Alle Völker des römischen Reiches wurden in seinen Untergang
hineingezogen. Nur die Juden erhielten sich, weil sie in die Welt der
Barbaren, die Rom folgten, den Handel, wie er die Antike gekennzeichnet
hatte, weitertrugen. Nachdem die mediterrane Welt zerstückelt war,
fuhren die Juden fort, ihre einzelnen Teile zu verbinden.
Die „Erhaltung des Judentums ist also der Transformation
der jüdischen Nation in eine Klasse zu verdanken. Zur Zeit des Abstiegs
des römischen Reiches gewann die kaufmännische Rolle der Juden ständig
an Bedeutung.
„Wenn die Juden schon vor dem Untergang Roms am Welthandel teilnahmen, so gelangten sie danach zu noch größerem Reichtum.“
Wahrscheinlich waren die syrischen Händler, von denen man
zu jener Zeit sprach, ebenfalls Juden. Diese Verwechslung kam in der
Antike häufig vor. Ovid spricht z. B. „von dem Tag, an dem keine
Geschäfte gemacht wurden und der von den Syrern in Palästina jede Woche
gefeiert wurde.“ [96]
Im vierten Jahrhundert gehörten die Juden den besseren und
wohlhabenden Schichten der Bevölkerung an. Chrysostomos sagt von den
Juden, daß sie viel Geld besäßen und daß die Patriarchen ungeheuere
Schätze ansammelten. Er spricht von den Reichtümern der Juden wie von
einer seiner Zeit wohlbekannten Tatsache. [97]Während langer Jahrhunderte sind die Juden die einzigen Vermittler zwischen Orient und Occident. Der Mittelpunkt des jüdischen Lebens verlegt sich mehr und mehr nach Frankreich. Der arabische Postmeister Ibn Khordadhbeh [neuntes Jahrhundert] erwähnt in seinem Buch die Wege der radamitischen Juden, die
„persisch, römisch, arabisch, die fränkischen
Sprachen, spanisch und slawisch sprechen. Sie pendeln zwischen Orient
und Occident, zu Land und zur See. Sie bringen aus dem Westen Eunuchen,
Sklavinnen, Knaben, Seide, Pelzwaren und Degen mit. Sie beladen ihre
Schiffe in den Frankenländern und nehmen Kurs über das westliche Meer
[Mittelmeer] nach Farama [Pelusion in Ägypten]. (...) Sie begeben sich
nach Sind [Westpakistan], nach Indien und China. Auf dem Rückweg beladen
sie ihre Schiffe mit Moschus, Aloe, Kampfer, Zimt und anderen Produkten
aus morgenländischen Gefilden. Einige segeln nach Konstantinopel,
andere fahren ins Land der Franken.“
Sicherlich sind die Verse Teodulphs über den Reichtum des Orients auf die Einfuhren der Juden zurückzuführen. Spanien wird noch einmal in einem Text von Ludwig dem Frommen wegen des Juden Abraham von Saragossa erwähnt. Die Juden übernahmen also die Versorgung mit Gewürzen und kostbaren Stoffen. Aber man ersieht aus den Texten Agobarts, daß sie auch Wein verkauften. An den Ufern der Donau betrieben sie Salzhandel. Im zehnten Jahrhundert besaßen Juden Salzbergwerke in der Nähe von Nürnberg. Sie betrieben auch Waffenhandel. Außerdem beuteten sie Kirchenschätze aus. Aber ihre große Spezialität war der Sklavenhandel. Einige Sklaven wurden im Lande selbst verkauft. Aber die meisten wurden nach Spanien exportiert. „Jude“ und „Händler“ werden zu Synonymen.
So heißt es in einem Edikt des Königs Ludwig:
„Händler, d.h. Juden und andere Händler, wo immer sie auch herkommen, aus diesem oder aus anderen Ländern, müssen eine gerechte Steuer zahlen für Sklaven und die übrigen Waren, wie es schon Sitte unter früheren Königen war.“
Ohne Zweifel waren zur Zeit der Karolinger die Juden die
Hauptvermittler zwischen Morgenland und Abendland. Ihre schon gegen Ende
des römischen Reiches dominierende Stellung im Handel hatte sie gut auf
diese Rolle vorbereitet. Man behandelte sie wie römische Bürger. Der
Dichter Rutilius beklagte sich, daß die besiegte Nation die Sieger
unterdrücke. [100]
Mitte des vierten Jahrhunderts hatten sich jüdische Händler in
Tongern und Tournay [Belgien] niedergelassen. Die Bischöfe unterhielten
beste Beziehungen zu ihnen und ermutigten besonders ihren Handel.
Sidoine Apollinaire bat den Bischof von Tournay [im Jahre 470], sie
wohlwollend aufzunehmen, da „diese Leute in der Regel gute Geschäfte
betrieben.“ [101]Im sechsten Jahrhundert spricht Gregor von Tours von jüdischen Niederlassungen in Clermont-Ferrand und in Orleans. Lyon besaß ebenfalls zu dieser Zeit zahlreiche jüdische Kaufleute. [102] Agobart, Erzbischof von Lyon, beklagt sich in seinem Brief Insolentia Judaeorum, daß die Juden christliche Sklaven nach Spanien verkauften. Der Mönch Aronius erwähnt im achten Jahrhundert einen Juden, der im Frankenland wohne und wertvolle Sachen aus Palästina einführe. [103] Es ist also offensichtlich, daß die Juden in Frankreich während der ersten Jahrhunderte des Mittelalters hauptsächlich Händler waren. [104] In Flandern, wo die Juden seit den Normanneneinfällen bis zu dem ersten Kreuzzug wohnten, befand sich der Handel in ihren Händen. [105] Gegen Ende des neunten Jahrhunderts gab es in Huy eine große jüdische Gemeinschaft. Diese Juden nahmen eine wichtige Stellung ein und betrieben einen blühenden Handel. Im Jahre 1040 hielten sie in Lüttich den Handel in ihren Händen. [106] In Spanien
„wurde der ganze Außenhandel von ihnen betrieben.
Dieser Handel erstreckte sich auf alle Waren des Landes: Weine, Öle und
Bodenschätze. Die Stoffe und Gewürze erhielten sie aus dem Osten. Ebenso
war es in Gallien.“ [107]
Die Juden aus Polen und Kleinrußland kamen ebenfalls nach
Westeuropa, um dort Sklaven, Pelze und Salz auf den Markt zu bringen
und alle Arten von Stoffen einzukaufen. Man liest in einem hebräischen
Text des zwölften Jahrhunderts, daß die Juden auf den rheinischen
Märkten große Mengen flandrischer Stoffe kauften, um sie in Rußland
gegen Pelze einzutauschen. Der Handel zwischen Mainz und Kiev, „dem
wichtigsten Handelsort der südlichen Tiefebene“ [108], war sehr intensiv. [109]
Sicherlich befand sich zu dieser Zeit eine sehr wichtige jüdische
Handelsniederlassung in Kiev; denn man liest in einer Chronik von 1113,
daß „die Bewohner dieser Stadt, um Monomach [Vladimir II.] zu
raschestmöglichem Kommen zu bewegen, ihn wissen ließen, daß sich die
Bevölkerung vorbereitet, Bojaren und Juden auszuplündern.“ [110]Der arabische Reisende Ibrahim Al-Tartuschi legt ebenfalls Zeugnis ab von der beachtlichen Ausdehnung des jüdischen Handels zwischen Europa und dem Orient. Er schreibt 973 bei einem Besuch zu Mainz:
„Es ist wunderbar, an einem so entfernten Punkt des
Abendlandes solche Mengen von Gewürzen aus dem entferntesten Orient zu
finden.“
Die Lage der Juden in der ersten Hälfte des Mittelalters ist also
ausgesprochen günstig. Die Juden werden als Teil der besseren
Gesellschaft angesehen und ihre rechtliche Lage unterscheidet sich kaum
von der des Adels. Das Edikt von Pitres von 864 unter Karl dem Kahlen
bestraft den Verkauf von unreinem Gold und Silber mit Auspeitschung,
wenn es sich um Leibeigene oder Fronpflichtige handelt, mit einer
Geldstrafe, wenn es sich um Juden oder freie Menschen handelt. [116]
„Die Juden übernahmen also eine Rolle, die einer dringenden
wirtschaftlichen Notwendigkeit entsprach und die von niemand anderem
sonst erfüllt werden konnte: den Kaufmannsberuf.“ [117]
Oft zogen die Könige und die Fürsten Juden zur Erhebung
von Steuern und Gebühren heran. Und so erscheinen überall Juden in der
Rolle von Gebühren- und Steuereintreibern. [122]
Die königlichen Finanzminister im Hochmittelalter waren oft Juden. In
Spanien waren bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts die großen
jüdischen Bankiers zugleich Steuereinzieher. In Polen
„vertrauten die Könige den Juden wichtige Funktionen
innerhalb der Finanzverwaltung ihrer Domänen an (...). Unter Kasimir dem
Großen und Wladyslaw Jagiello vertraute man den Juden nicht nur die
öffentlichen Steuern an, sondern auch so wichtige Einkommensquellen wie
das Münzgeld und die königlichen Salzbergwerke. So weiß man z.B., daß
der ‚Rothschild‘ von Krakau, Levko, der Bankier von drei polnischen
Königen in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, die
berühmten Salzbergwerke von Wieliczka und von Bochia gepachtet hatte und
außerdem das Münzhaus von Krakau verwaltete.“https://www.marxists.org/deutsch/archiv/leon/1946/judenfrage/kap2.htm
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