Anarchie und Islam II







Leda Rafanelli (1880-1971) war eine italienische Individualanarchistin, Feministin, Antimilitaristin, Schriftstellerin und – Sufi und eine der wichtigsten Figuren der italienischen anarchistischen Bewegung in den ersten zwei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts.
Geboren am 4.Juli 1880 in Pistoia (Toskana) in eine Familie von KleinbuergerInnen, interessierte sie sich schon früh für soziale Fragen. 1903 ging sie mit ihrer Familie nach Ägypten, wo sie in Alexandria als Typografin arbeitete. Dort begeisterte sie sich für den Anarchismus durch Begegnungen mit Mitgliedern der Gruppe die „Rote Baracke“, einem Raum aus Marmor und Holz, rot lackiert – ein Treffpunkt von Anarchisten und Sozialisten. Im Jahre 1906 traf sie dort u.a. Enrico Pea und Giuseppe Ungaretti. Diese „Rotkehlchen“*, so nannten sich die Anarchisten von Alexandria, waren Gestrandete aus aller Welt, vor allem Italiener. Diese stellten in der ersten Jahrhunderthälfte das größte Kontingent revolutionärer Emigranten.
Sie entdeckte den Islam und lernte Arabisch. Für sie war die arabische Kultur eine politische und soziale Alternative zur westlichen so genannten Zivilisation und ihr Interesse am Islam war geprägt durch den Sufismus als einem toleranten religiösen Mystizismus, der im Einklang stand mit dem anti-kolonialistischen und sich dem europäischen Imperialismus widersetzenden Kampf , verstanden als Revolte gegen die moderne Welt und die sozialen Entwicklungen, die dem im Entstehen begriffenen Kapitalismus folgen würden.
Eher Individual-Anarchistin ,immer im Konflikt mit den Kollektivisten, und Sufi bestätigt sie Landauer mit seinen Schriften zur Mystik und der „Wiedergeburt des Einzelnen“, die er als einen von den Zwängen der Gesellschaft befreiten Menschen sah und dies im Heute und Jetzt zu realisieren propagierte.( „Der Anarchismus will weder heute noch in Zukunft irgendwelche Herrschaftsübung dulden. Er will den einzelnen Menschen (es gibt nichts anderes als einzelne Menschen) frei und selbständig machen“ – Landauer).
Mystisch an Landauer ist hier der Gedanke, dass durch die Besinnung auf das eigene Innere das gefunden wird, was alle Menschen überzeitlich miteinander verbindet
Ähnlich äußerte sich auch Leda. Ihre Konzeption der Anarchie ist nicht ausgerichtet auf eine utopische Gesellschaft, sondern auf das Ziel „Menschen und nicht Anhänger schaffen,
Persönlichkeit zu entwickeln und sich nicht einbalsamieren mit Fetischismen“,
denn „der größte Feind des Menschen lebt im Menschen selbst.“
Obwohl sie nie religiöse Propaganda verfasste, zeigen sich doch in einigen ihrer Schriften Parallelen zur Konzeption des Islam. In der Erzählung „Der Wahrsager“, erschienen in der anarchistischen Zeitung „Freedom“ am 5.Mai 1914, vergleicht sie die westliche Lebensweise mit der Weisheit des Islam. In dem Roman „Oasis“ prangert sie den Kolonialismus an und solidarisiert sich mit dem libyschen Widerstand gegen Italien, der von den Sufis organisiert wurde.
Als engagierte Antimilitaristin stellte sie sich auch gegen das "Manifest der 16“, einem Pamphlet, initiiert von Kropotkin und anderen Libertären, die sich für eine Intervention der USA in den 1.Weltkrieg aussprachen.
http://radiochiflado.blogsport.de/…/leda-rafanelli-anarchi…/
Auf die Frage, was ihn am Islam so anziehe, antwortete Hakim Bey (eigentlich: Peter Lamborn Wilson) mit dem Hinweis auf die späten 60erJahre, mit dem Interesse an anderen Religionen, dem Lesen dementsprechender Texte. So sei er an Hazrat Inayat Khan, dem Gründer des Sufiordens, gekommen und dessen Universalismus, wo alle Religionen wahr und gleich waren. Er habe darin eine radikale Toleranz gesehen, so anders wie die des Westens, das nicht Einheitliche vereinigend. Daraus folgt für ihn ein Widerstandspotential gegenüber dem Inhumanismus des absoluten Marktes, also auch er sieht in den Religionen, soweit sie frei sein, immer auch eine antikapitalistische Tendenz.
Hakim Bey ist ein englischsprachiger Schriftsteller, Künstler und Philosoph. Der Name Hakim (arabisch حکٻم) bedeutet Arzt, Richter, oder Gelehrter. Bey ist das türkische Wort für Herr oder Fürst und war ein traditioneller Titel türkischer und persischer Stammesführer. Sein Interesse an islamischen Mystikern und vor allem Ketzern brachte ihn u.a. mit iranischen Religionsgelehrten zusammen, er übersetzte persische Gedichte und schrieb über die Geheimgesellschaften und Piraten
„Irgendwann fing ich an, mich für Piraten zu interessieren. Das waren meist Christen, die entweder von Moslems im Mittelmeer gefangen worden waren und bekehrt wurden, oder die freiwillig zum Islam übergingen. Es wurde aber bisher nur über ihre Verbrechen geschrieben. Man stellte sie ausschließlich als Kriminelle dar. Die politische Struktur ihrer Communities war radikal demokratisch. Die Schiffe, auf denen sie anheuerten, unterlagen eindeutig demokratischen Gesetzen. Der Kapitän wurde demokratisch gewählt, und wenn er zu viel Mist baute, wurde er wieder abgewählt“
Doch am meisten bekannt wurde er durch sein Konzept der „Temporären Autonomen Zone“, Die Idee einer temporär, also nur kurzzeitig existierenden Zone, in der gesellschaftliche Regeln und Machtverhältnisse außer Kraft gesetzt sind oder absichtlich missachtet werden, von den Situationisten und Stirner inspiriert und inspirierend für u.a Gruppen wie Crimethinc oder explizit Anhänger*innen des so genannten „aufständischen Anarchismus“ gleichermassen.
Immer wieder berühren seine Essays auch religiöse Fragen
Und seine Forderung an die Libertären ist es, ihr Verhältnis dazu neu zu bestimmen .
Nicht „Gott“ ist böse, nicht „Götter“ oder „Göttinnen“ sind es, die unterdrücken und morden, oder wie es Ludwig Feuerbach mal sagte „Nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild, sondern der Mensch schuf Gott nach seinen Wünschen und Bedürfnissen« – von daher scheint eine emanzipatorische, hierarchiefreie Spiritualität durchaus möglich, denn „Je fester ein Individuum auf sich selbst steht, je tiefer es sich in sich selbst zurückzieht, je mehr es sich von den Einwirkungen der Mitwelt absondert, um so mehr findet es sich als zusammenfallend mit der Welt der Vergangenheit, mit dem, was es von Hause aus ist….
(nämlich die menschliche Gemeinschaft, die mächtiger ist als es der Staat jemals zu sein vermag)
… einen Tisch kann man umwerfen und eine Fensterscheibe zertrümmern; aber die sind eitle Wortemacher und gläubige Wortanbeter, die den Staat für so ein Ding oder einen Fetisch halten, den man zertrümmern kann, um ihn zu zerstören. Staat ist ein Verhältnis, ist eine Beziehung zwischen den Menschen, ist eine Art, wie die Menschen sich zueinander verhalten; und man zerstört ihn, indem man andre Beziehungen eingeht, indem man sich anders zueinander verhält.“ (Landauer, 1910)
Mystische Erfahrungen bedeuten demnach kein bewusstes Abwenden von der Welt, sondern fördern geradezu ein humanes Glaubensverständnis, auch gegen den ideologischen und religiösen Dogmatismus und Fundamentalismus.
Eine spezielle anarchistische Religionskritik ist nicht bekannt. Johann Most redet in seiner „Gottespest“ soviel über seinen „Gott“, dass er fast darüber das wesentliche vergisst – nämlich eine Ideologie und Institutionenkritik, die aber auch auf den Staat und seine Organe anzuwenden ist – wie alle die gegen die Freiheit und Selbstbestimmung gerichteten Handlungen. Und zur Selbstbestimmung gehört es auch, sich spirituellen oder religiösen Gemeinschaften anzuschliessen, die diese Freiheit und Freiwilligkeit garantieren.
Obwohl es antiautoritäre und freiheitliche Bestrebungen die ganze Zeit über im Islam gab – wie auch im Christentum –, sind erst im 20.Jahrhundert die liberalen Auslegungen öffentlich geworden und werden von muslimischen Anarchist*innen mit libertären Ideen vermischt – hingewiesen sei hier u.a auf die moslemische Anarchistische Charta , (The Muslim Anarchist Charter), die Grundprinzipien des anarchistischen Denken und Handelns auf eine muslimische Perspektive gründet.
So gibt es durchaus Ähnlichkeiten in den Ansichten über Ablehnung des Staates, Eigentum, Sozialismus, ja sogar in Fragen der Unterdrückung und Gewalt sind sich Anarchismus und Islam näher als z.b. mit den anderen Religionen – so gibt es beim Islam keine (Religions)vergleichbaren Hierarchien, keine Kirche und keine Priesterschaft (Immame sind eigentlich Wissenschaftler und Berater) und die meisten Anarchist*innen stimmen in Fragen der Gewalt durchaus der Möglichkeit der Selbstverteidigung zu.
So heisst dementsprechend im Koran „ „Kämpfe gegen diejenigen, die dich bekämpfen, doch beginne nicht selber mit den Feindseligkeiten. Denn Allah mag keine Aggressoren“
Und so argumentieren die muslimischen Anarchisten dass, wenn die Religion erlaubt, Gewalt nur zur Selbstverteidigung anzuwenden , aber Unterdrückung und Zwang innerhalb auch ihrer Religion ablehnt, daraus nur eine staatenlose, klassenlose Gesellschaft ohne Hierarchie erwachsen kann.
Religion bzw. religiöse Bewegungen können einzelne Menschen durchaus stärken, so wie es andere Gründe und Motivationen sein können, die die Menschen in Gemeinschaft und Widerstand zusammenbringt – ob auf dem Tahrirplatz in Kairo oder auf die Barrikaden in den Metropolen – in diesem Sinne : Anarcho Akbar !
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