Wenn man Regeln aufstellt, werden Kinder entweder unterwürfig oder kriminell.
Ich möchte zum Beispiel nicht, dass meine Tochter mit dreizehn Jahren volltrunken um Mitternacht an der örtlichen Bushaltestelle abhängt.
Juul: Sehen Sie, da haben wir das Dilemma schon wieder. Sie können Verbote aufstellen und gleichzeitig mit Sanktionen drohen. Oder gehen stattdessen mit ihr in den Dialog. Erklären ihr, warum Sie dagegen sind. Was ihre Gründe und Ängste sind. Wenn Sie Regeln aufstellen, fängt der ganze Zirkus an. Dann werden die Kinder entweder unterwürfig oder kriminell.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Eltern dann überhaupt noch?
Juul: Ab der Pubertät muss sich der Mensch selber finden. Seine eigenen Grenzen, Wertvorstellungen und Potenziale finden. Und das dauert eben sieben bis acht Jahre- und in dieser Zeit brauchen sie den Widerstand der Eltern. Und diesen Widerstand der Eltern müssen die Jugendlichen lernen auszuhalten. Ein 15-jähriger kommt sturzbetrunken nach Hause. Seine Freunde finden Alkohol macht Spaß, die Eltern halten es für gefährlich. In diesem Spannungsfeld muss er sich und seine Position selber finden.
Regeln sind generell schlecht?
Juul: Regeln sind eine sehr primitive Art der Führung. Jede Familie braucht eine Handvoll Regeln um angenehm zusammen zu leben. Aber Regeln als Problemlösung oder Problemvorbeugung funktionieren nicht.
Eltern von jüngeren Kindern möchten nicht, dass diese bis spätnachts aufbleiben oder Unmengen von Süßigkeiten konsumieren. Wie bringe ich meinen persönlichen Wunsch nun dem Kind nahe?
Juul: Dann muss die Mutter oder der Vater persönlich sagen, dies möchte ich nicht. Dann wird es eine persönliche Auseinandersetzung, bei der die Eltern eine persönliche Autorität aufbauen müssen. Wenn man sich stattdessen stur auf Regeln beruft, dann erlangt man nie eine persönliche Art der Autorität. Man ist nichts weiter als ein Polizist, der die Einhaltung der Regeln kontrolliert. Der Mensch hat eine innere Sehnsucht nach Regeln. Als ich Kind war, hat dies annähernd funktioniert, weil es damals noch erlaubt war Gewalt in der Erziehung einzusetzen.
Gewalt ist das einzige Mittel um Regeln durchzuboxen. Deshalb plädiere ich für den Dialog. Das bedeutet nicht endloses reden, diskutieren oder verhandeln. Schlichtweg: Hier bin ich, hier bist du. Ich bin dazu bereit deine Wünsche und Bedürfnisse Ernst zu nehmen, dann werde ich entscheiden. Das ist neu – diesen Versuch des gegenseitigen Umgangs haben wir noch nie versucht. Kinder werden durch das Verhalten ihrer Eltern erzogen. Wie diese ihren Alltag gestalten, wie sie sich zu ihren Mitmenschen verhalten. Gewollte Erziehung erzieht hingegen kaum.
Sie schreiben in ihrem Buch: „Dreizehnjährige brauchen in dieser Zeit nur ein oder zwei Menschen, die ihnen das Gefühl geben, es ist richtig und gut, so wie du bist. Bei aggressiven, gewaltbereiten oder drogenabhängigen Kindern ist dies eine große Anforderung für ihre Eltern!“
Juul: Genau das ist es. Aber gerade diese Jugendlichen brauchen ihre Eltern besonders. Denn diese Eltern sind ja auch dafür verantwortlich, dass ihre Kinder jetzt in dieser Situation stehen. Die lieben, braven Teenager brauchen ihre Eltern kaum noch. Aber die Schulverweigerer, Drogenabhängigen umso mehr.
http://www.planet-interview.de/interviews/jesper-juul/35272/
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