Aus dem »Theologisch-Politischen Traktat« des Baruch de Spinoza






»Schon lange ist es so weit gekommen, daß man jeden, ob Christ, Türke*, Jude oder Heide, nur an seiner äußeren Erscheinung und an seinem Kult erkennen kann oder daran, daß er diese oder jene Kirche besucht, oder endlich daran, daß er dieser oder jener Anschauung zugetan ist und auf die Worte dieses oder jenes Meisters zu schwören pflegt. Im übrigen ist der Lebenswandel bei allen der gleiche. Die Ursache dieses Übelstandes ist meines Erachtens zweifellos darin zu suchen, daß es das Volk für seine Sache der Religion hält, die Dienste der Kirche** als Würden und ihre Ämter als Pfründen anzusehen und die Geistlichen hoch in Ehren zu halten. Denn seitdem dieser Mißbrauch in der Kirche aufgekommen ist, wurden gerade die Schlechtesten von der Gier ergriffen, die geistlichen Ämter zu verwalten; der Drang, die göttliche Religion auszubreiten, sank zur schmutzigen Habgier und Ehrsucht und das Gotteshaus selbst zum Theater herab, in dem sich nicht mehr Kirchenlehrer, sondern Redner hören ließen, denen es nicht darauf ankam, das Volk zu belehren, sondern bloß es zur Bewunderung hinzureißen und die Andersdenkenden öffentlich anzugreifen und nur das Neue und Ungewohnte zu lehren, wie es eben das Volk am meisten bewunderte. Daraus mußte natürlich großer Hader, Neid und Haß entstehen, den auch die Zeit nicht zu dämpfen vermocht hat. Kein Wunder daher, daß von der alten Religion nichts mehr geblieben ist als ihr äußerer Kultus […] und daß der Glaube schon nichts anderes mehr ist als Leichtgläubigkeit und Vorurteile. Und was für Vorurteile! Solche, die die Menschen aus vernünftigen Wesen zu Tieren machen, die es ganz und gar verhindern, daß noch einer seine Urteilskraft gebraucht und wahr und falsch unterscheidet, und die mit Fleiß ausgedacht scheinen, um das Licht des Verstandes völlig auszulöschen. […] Hätten sie auch nur ein Fünkchen göttlichen Lichtes, so wären sie nicht so unsinnig vor Hochmut, sondern würden Gott verständiger zu verehren lernen und sich anstatt wie jetzt durch Haß vielmehr durch Liebe vor den anderen auszeichnen; auch würden sie die Andersdenkenden nicht so feindselig verfolgen, sondern sie bemitleiden, wenn es ihnen wirklich um deren Heil und nicht um ihr eigenes Glück zu tun wäre. Wenn sie wirklich eine göttliche Erleuchtung besäßen, so müßte sie sich doch wohl auch in ihrer Lehre zeigen.«
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* In der Entstehungszeit dieser Zeilen ist es im christlichen Europa nicht unüblich, ethnische Bezeichnungen wie Sarazenen oder eben Türken als stellvertretend für Muslime zu verwenden.
** Diese grundsätzliche Kritik an machtrationalisierten religiösen Institutionen sei in keinem Fall auf die christlichen Kirchen beschränkt. Dass Spinoza in diesem Kontext augenscheinlich nur »die Kirche« angreift ist wohl dadurch zu erklären, dass sein Werk vordergründig an die abendländische Zivilisation adressiert zu sein scheint.


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